Barockmaschine

 

Das Kunsterleben im Barock war von starker Illusionistik und Monumentalität - heute würde man vielleicht sagen von Virtualität und Psychedelik - durchdrungen. Alle Kunstformen bis hin zum Gartenbau und Tanz waren (ähnlich wie heute) von dem Bestreben nach Synästhesie geprägt.

Die Sublimation von Klang und die Verfeinerung musikalischer Wahrnehmung bis in die kleinsten Nuancen fand in dieser Epoche einen historisch unerreichten Höhepunkt: in der Kunst der Komposition, der Kunst des Instrumentenbaus und der meisterhaften Spieltechnik der Interpreten. Der barocke Musikkonsument empfand dabei erlebnisorientiert.

Das Spektrum menschlicher Gefühlsregungen stellte quasi einen Fundus musikalisch genau klassifizierter Affekte dar, die man mit dem Instrumentarium musikalischer Entsprechungen zu stimulieren suchte. (Die Affektenlehre, psychologische Grundlage der Oper, wurde nachhaltig von Athanasius Kircher untersucht und systematisiert u.a in seiner Musurgia unniversalis).

Die unmittelbare Evokation von Empfindungen mittels musikalischer Technik war somit Anliegen der Barockkomponisten. Sie fanden darin den Konsens mit ihrem Publikum, deren Alltagskultur sie mitgestalteten.

Auch das immense Bedürfnis nach Tanz im höfischen Leben geriet zu einer regelrechten Kultur menschlicher Bewegungsformen, einer wahrhaft tänzerischen und erbaulichen Lebensform, die das Bindeglied zwischen Musik, Dichtung, Malerei, Schauspiel, Bewegung und Architektur, ja Politik darstellte (z.B. Ludwig XIV galt als einer der bedeutendsten Tänzer des Barock und begann seine politische Karriere unter anderem als Tänzer; in der Gestalt des Helios, daher der Name >Sonnenkönig<).

Weltliche und klerikale Herrscher demonstrierten ihre Macht und Herrschaft mit monumentaler Klangfülle. (Der Klang von Pauken und Trompeten war den Königen und Fürsten vorbehalten, dem "weltlichen Arm Gottes").

Ein weiterer Schritt vom barocken Illusionismus, einer "Extended Reality", ist der Übergang zu einer neuen Sehnsucht und Aufhebung von Diesseits und Jenseits, zur "virtuellen Realität" in der die Maschine scheinbar aus sich selbst, als "Deus ex Machina", zu unseren Sinnen heraustritt und von der sich der Mensch eine neue, spekulative Spiritualität erhofft? Athanasius Kircher (oberster Jesuitenpater im 17 Jh.)- Theologe, Kosmologe und Philosoph des Frühbarock, Erfinder der ersten komponierenden Musikmaschine (Idee für den Titel "Barockmaschine") stellte sich Gott in enger Anlehnung an die pythagoräische Philosophie als einen gigantischen allumfassenden Klang singender Seelen dar.

Der barocke Illusionismus als ästhetisches Konzept zwischen irdischer und jenseitig himmlischer, unendlicher Prachtentfaltung.

Das ganze Projekt beabsichtigt die Parallele zwischen barocker illusionistischer Realität: dem >Himmel auf Erden< und zeitgenössischer "virtueller Realität" herauszustellen, der Überwältigung der Sinne; Monumentalität.

 

Erläuterung des Geschehens:

 

Der bei Bedarf mehrstündige Event besteht aus einem weitgehend ununterbrochenen musikalischen Teil, der von einem ebenso ununterbrochenen visuellen Teil (s.u.) skandiert wird. Der musikalische Beitrag wechselt, (falls mit Musikern zusammengearbeitet wird) zwischen einem Remix/DJ-Set (Live Remixing und Live-elektronik) und Einschüben von Live-Musik, die mittels Mikrophonierung und o.g. Live-elektronik ebenfalls live geremixt wird. Außerdem können die ggf. mitwirkenden Musiker (bei Kenntnis der entsprechenden Literatur) zeitweise auch zeitgleich zum Remix/DJ-Set >overduben<. Der Beitrag bildet in seiner Gesamtheit, trotz abwechslungsreichem audiovisuellen Geschehen, ein Kontinuum ohne gezielte dramaturgische Höhepunkte. Die Gäste sind also nicht an einen vorgegebenen Ablauf gebunden und können sich völlig frei bewegen.

Während der ganzen Aufführung wird Jürgen Reble in enger Anlehnung an das musikalische Geschehen, auf mehreren Projektionsebenen die visuelle Dimension gestalten. Seine Filmarbeiten zur >Barockmaschine< knüpfen unter anderem auch an den Vorstellungen Athanasius Kirchers an, der als Erfinder der Laterna Magica gilt. Seine Arbeiten kommen am besten als Rundumprojektionen und an Säulen zur Geltung die zu atemberaubenden Leuchterscheinungen geraten.

Die Performance ermöglicht jedem Besucher sich zum einem frei zu bewegen, sich aber auch niederzulassen wo es ihm gefällt, wenn er möchte auch liegend um jeden Blick- und Hörwinkel einnehmen zu können. Das ganze Event kann über mehrere Stunden ausgedehnt werden und hat selbst den Charakter einer Installation.

 

Das Live Remix/DJ-Set:

 

Das "Remix/DJ-Set" basiert auf dem Einsatz von moderner Sounddesigntechniken, bei der originale Barockmusik bzw. Soundfiles live geremixt werden.

Die Idee besteht u.a. darin, die spektralen Bestandteile der Musik in abgewandelter Form als gewöhnlich darzubieten, in der Absicht klangliche Details hervorzuheben die durch wahrnehmungspsychologische Phänomene sonst verdeckt, bzw. maskiert wären. Man fühlt sich, gewissermaßen, ins Innere der Instrumente versetzt;  sozusagen wie Musik unter dem Mikroskop. Es öffnet sich eine faszinierende Klangwelt, gleichsam aus einer anderen akustischen Perspektive, die zudem mit zeitgenössischen elektronischen Klängen und Effekten kombiniert wird und damit  auch den Hörgewohnheiten eines Elektronika-Publikums entgegenkommt.

Die Einbeziehung von Live Musikern (Solisten- bzw. Kammerensemble) + Live-elektronik. Die Musiker werden mit Mikrophonen abgenommen und direkt im o.g. Remix-set gemixt und mit elektronischen Klangeffekten versehen. Ausserdem können auf diese Art und Weise leise Instrumente wie z.B. Viola da gambe in einem grösseren Auditorium bzw. grösseren Räumlichkeiten besser zur Geltung kommen. Bei ensprechender Kenntnis der jweiligen Musikliteratur können die Musiker sogar gleichzeitig zum Remix/DJ-Set musizieren.

Eine Klanginstallation, bei der ein Präludium mit ständig neuen Variationen (mit einem Computer realisiert) als eine Art Perpetuum mobile den Event vorher und nachher umrahmt; in ihrer Wirkung eine Art Klanggebilde, inspiriert durch die Kompositions Maschine von Athanasius Kircher aus seiner Musurgia Universalis; daher der Name Barockmaschine.

Musikalisch geht es weniger um "Crossover" als vielmehr um zeitgenössisches elektronisches "Sounddesign", dass es vermag den sinnlichen Gehalt der Musik vergangener Epochen auch einem jüngeren Publikum, als eine Art >Zeitmaschine< zugänglich zu machen. Auch für den traditionellen Klassikhörer ist das zwanglose Setting des Listening Events eine neue Erfahrung und entspannte Alternative zur gewohnten Konzertbestuhlung (auch ein liegender Hör- und Sehgenuss ist bei entsprechenden Liegemöglichkeiten ohne weiteres denkbar).

 

 

Hintergründe:

 

Binäre Maschinen:

Baroco, ein mathematischer Syllogismus als Idee für eine kombinatorische Ästhetik?

>Baroco< war der mittelalterliche Name eines Syllogismus und wurde zur präzisen Bezeichnung einer Methode des Denkens, des Benehmens, des politischen Handelns, des Gottesglaubens (wie es auch mit dem Begriff >Manierismus< geschah, der aus dem Malerjargon kam). In solchen Fällen haben diese Metaphern eine kognitive Macht und kündigen häufig einen plötzlichen Wechsel von einem wissenschaftlichen Paradigma zum anderen an, eine wissenschaftliche Revolution (Eco).

Das Binärzahlensystem und binäre Logik, erste Rechenmaschinen, Grundlagen heutiger Digitaltechnologie wurden von Leibniz erfunden. Das Dualzahlensystem zog er als Gottesbeweis gegenüber dem Kaiser von China heran: "Um alles aus nichts zu erschaffen, bedarf es einer Einheit".

Für Leibniz war das gesamte Universum eine Maschine; Gott seine Software?

Deus ex Machina und eine neue Spiritualität aus Maschinen und ihren Virtualitäten?

Die Musik ist eine Übung der Seele in der Mathematik, wobei sich diese nicht bewußt ist, das sie zählt. (Leibniz)

Erste Automaten wurden in dieser Epoche konstruiert und gebaut (Jacques de Vaucanson).

Maschinen als die goldenen Kälber der Zukunft?

Es wird ein Schaf vom Himmel fallen und die Welt retten!?

 

Text von Andi Mellwig